Ich hatte das Glück, zu Beginn in alle Bereiche des German Police Project Team (GPPT) schnuppern zu können und mich ein wenig außerhalb des Camps umzusehen. Nach ca. zwei Wochen wurde ich dann dem Office Kabul zugeteilt, dessen Leitung ich nach etwas mehr als drei Monaten übernommen habe. Von April 2017 bis Mai 2018 war ich in Kabul eingesetzt, also insgesamt 13 Monate.
Wie war dein Tagesablauf?
Jeder Morgen beginnt gegen acht Uhr mit einer gemeinsamen Sicherheitseinweisung. Durch die Kollegen im Security Office werden alle sicherheitsrelevanten Ereignisse des Vortages präsentiert und die Anschlagswarnungen der Nachrichtendienste vorgestellt. Aufgrund dessen geben sie Verhaltensanweisungen oder –restriktionen für Ausfahrten heraus.
Danach findet für die Fachbereichsleiter, sowie den Head of Mission ein Morgenmeeting statt, in dem alle anstehenden Aufgaben und wichtigen Mitteilungen besprochen werden. Währenddessen machen sich alle anderen Mitglieder des GPPT an ihre täglichen Aufgaben.
Eine Mittagspause baut jeder so in seinen Tag ein, wie es gerade passt. Da man aber im Normalfall mit Kollegen essen geht, handelt es sich nicht ausschließlich um eine Pause, da auch währenddessen weiter dienstliche Themen besprochen werden. Offizieller Feierabend ist gegen 17 Uhr, was aber aufgrund von Außenterminen oder Absprachen und Telefonaten mit Deutschland (Zeitverschiebung im Sommer 2,5 Stunden und im Winter 3,5 Stunden) selten funktioniert, sodass es meistens eher 18 Uhr oder später wurde.
Danach geht es dann zum Sport oder man setzt sich mit Kollegen oder anderen Campbewohnern zusammen, um den Abend miteinander zu verbringen. Will man seine Ruhe haben, kann man Zeit in seinem Zimmer mit eigenem Bad, Fernsehanschluss und W-LAN verbringen. Der einzige freie Tag der Woche ist der Freitag, da dies im Islam der „heilige“ Tag ist, ähnlich wie bei uns der Sonntag.
Was hast du in Kabul erlebt?
Zu sehen, welch ein einfaches Leben die Afghanen größtenteils leben und wie glücklich sie damit trotzdem sind, war beeindruckend. Trotz der Anschläge, die in der Hauptstadt quasi an der Tagesordnung sind, leben die Menschen größtenteils gerne in diesem Land und wollen dort auch nicht weg. Das beste Beispiel hierfür ist einer unserer Dolmetscher, der in Deutschland studiert hat und danach wieder zurück nach Kabul gegangen ist, weil er „sein“ Land liebt und es mit seinem Know-how verbessern möchte.
An Tagen mit besonders schlechter Sicherheitslage bewegen sich die Internationalen nicht auf den Straßen, sondern ausschließlich per Luft. Erst bei diesen Hubschrauberflügen stellt man fest, was für eine faszinierende Landschaft mit Bergen, Seen, fruchtbarem Land und wüstenartigen Teilen Afghanistan zu bieten hat.
Sicherlich eines der prägendsten Ereignisse im negativen Sinne, war der Anschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul am 31. Mai 2017, bei dem mehrere Hundert Menschen schwer verletzt wurden oder starben. Obwohl die Botschaft gut vier Kilometer Luftlinie von unserem Camp entfernt war, wackelten bei uns durch die Druckwelle der Bombe noch die Fenster. Es war relativ schnell klar, dass die Botschaft das Ziel gewesen ist. Die Nachricht, dass es allen Botschaftsangehörigen soweit gut geht, ließ relativ lange auf sich warten - das sorgte für stundenlanges Bangen. Nicht nur weil es sich um andere Deutsche handelte, sondern weil man sie durch viele Meetings persönlich kannte.
Ich habe während der Zeit in Kabul einen ganz tollen Zusammenhalt innerhalb des Teams, sowie eine außerordentliche Kameradschaft zur Bundeswehr erlebt. Man merkt deutlich, wie die besonderen Umstände die Menschen zusammenrücken lassen und wie, anders als in Deutschland, auch über Zuständigkeiten hinaus zusammengearbeitet wird. „Der kurze Dienstweg“ wird hier auch über die Institutionen hinaus gelebt. Außerdem war es toll im Camp mit Menschen so vieler Nationen zusammen zu leben und auch Freundschaften über das Jahr hinaus zu schließen.
Wie hast du deine Freizeit verbracht?
Da unser Camp nur relativ klein war und es die Sicherheitslage für Internationale nicht zuließ sich außerhalb des Camps zu bewegen, war die Freizeitgestaltung recht eingeschränkt. Jedoch haben wir das Beste daraus gemacht.
Unser Gemeinschaftsraum enthielt eine Küche, in der wir sehr oft die von unseren Dolmetschern vom Markt mitgebrachten Waren gekocht haben. Zudem gab es einen Beamer, über den wir am Wochenende zusammen, via Bundeswehr TV, Bundesliga oder Filme gucken konnten. Das Camp selbst ist ausgestattet mit einem Fitnessstudio, einem kleinen Fußballfeld und einem Volleyball- und Basketballplatz. So ist im Sommer durchaus das ein oder andere spannende Volleyballspiel gegen das Team der Nepalesen oder Afghanen, die im Camp gearbeitet haben, entstanden. Weiterhin gab es eine Bäckerei, zwei Restaurants, eine Kantine und zwei kleine Geschäfte, in denen man sich die Zeit vertreiben konnte.
Wie sieht dein Fazit aus?
Für mich war es eine tolle Erfahrung. Auch wenn es nicht nur Höhen, sondern auch einige Tiefen in diesem Jahr gab, hat mich die Zeit in Afghanistan sehr geprägt und mich durchaus an den Aufgaben wachsen lassen.
Trotz der hohen Gefahr würde ich jedem Kollegen und jeder Kollegin zu einem Auslandseinsatz raten. Man sieht wie die Polizei in anderen Teilen der Welt arbeitet und wie deren Kultur ist und man lernt Neues kennen. Die Erfahrungen, die man dort sammelt, sind mit der Arbeit der deutschen Polizei nicht zu vergleichen und prägen einen sowohl positiv als auch negativ.
Vielen Dank an Lisa Bertelsbeck-Höing für das Interview.